Krupp: Aufstieg eines erfolgreichen Industriellen und Unternehmens

Krupp: Aufstieg eines erfolgreichen Industriellen und Unternehmens
Krupp: Aufstieg eines erfolgreichen Industriellen und Unternehmens
 
»So wie jede Verbindung, jede Körperschaft von der kleinsten Familie an bis zum größten Staat zu ihrem Gedeihen der inneren Einigkeit und Treue bedarf, so ist Gleiches die Grundbedingung der dauernden Wohlfahrt eines gewerblichen Etablissements. Ohne Einigkeit, ohne Treue besteht kein Haushalt, kein Staat, kein Etablissement. ..« Als Alfred Krupp diese Worte im Jahr 1872 niederschrieb, umfasste das »Etablissement«, also das Unternehmen Krupp, 14 800 Beschäftigte, in seinem Todesjahr — er starb am 14. Juli 1887 — waren es 20 200 Mitarbeiter. Mit weniger als zehn Arbeitern hatte der Vierzehnjährige 1826 seine Arbeit in dem damaligen Kleinbetrieb aufgenommen. Die Biografie Alfred Krupps ist in hohem Maße zugleich die Biografie seines Lebenswerkes, des Unternehmens Krupp.
 
 Erste Erfahrungen im Kleinbetrieb
 
Alfred (Alfried) Krupp wurde am 26.' April 1812 als zweites von vier Kindern und ältester Sohn von Friedrich Krupp und seiner Frau Theresia, geborene Wilhelmi, in Essen geboren. Als sein Vater erkrankte, musste er den Besuch des Gymnasiums abbrechen und auch den Plan einer Lehre in der Düsseldorfer Münze aufgeben. Er übernahm die Aufsicht in dem kleinen Betrieb und wurde noch von seinem Vater in die Grundlagen der Gussstahlherstellung eingeführt. Aber als Friedrich Krupp am 8. Oktober 1826 starb, war der Betrieb zum Erliegen gekommen. Friedrich Krupp hatte die Gussstahlfabrik testamentarisch seiner Frau und seinen Kindern hinterlassen. Sie nahm jedoch wegen der hohen Schulden das Erbe nur für ihre Person an. Unterstützt von ihren Verwandten sowie dem damals 14-jährigen Alfred und der Tochter Ida führte sie die Fabrik weiter, wobei Alfred sich mit den Arbeitern um die Fabrikation von Werkzeugstahl, Feilen, Lohgerbergeräten und Münzstempeln bemühte. In dieser frühen Zeit war er, wie er später schrieb, gleichzeitig Prokurist, Korrespondent, Kassierer, Schmied und Schmelzer und erwarb vor allem praktische Erfahrungen, z. B. die, dass die Qualität der Rohstoffe von maßgeblicher Bedeutung für die Qualität der Produkte ist.
 
Die im Verkauf lohnendsten Produkte wurden in den Folgejahren die Gussstahlwalzen. Hier ging Alfred Krupp 1830 zur Endfabrikation über, da die früher gelieferten Walzenrohlinge bei der unsachgemäßen Bearbeitung durch die Kunden häufig gesprungen waren. Für Fertigfabrikate konnte er dagegen eine Qualitätsgarantie übernehmen und zugleich Material und Arbeitskräfte rationeller ausnutzen. Krupp erlernte die Technik des Drehens, Polierens und Härtens und konnte nun glasharte, praktisch unzerstörbare Walzen herstellen, die vor allem in Münzen sowie in Gold- und Silberschmieden benötigt wurden. Gleichzeitig öffnete der Übergang zu Güssen aus mehreren Tiegeln — 1832 gelang ein Guss von 25 kg aus 4 Tiegeln, 1834 ein Guss von 200 kg aus 8 Tiegeln — den Weg zur Herstellung größerer Gussstahlprodukte. Dennoch blieb die Produktion mengenmäßig auf niedrigem Niveau, wie ja auch die Zahl der Mitarbeiter bis 1833 unter zehn blieb.
 
 Langsame Fortschritte in der Gussstahlfabrikation
 
Erst seit 1834/35 expandierte das Unternehmen deutlich. Zum einen wirkte sich die Aufhebung der Zollschranken im deutschen Zollverein 1834 absatzfördernd aus, zum anderen ermöglichte es der Erwerb einer Dampfmaschine, den Schmiedehammer unabhängig von der ungleichmäßig verfügbaren und häufig auch schwachen Wasserkraft fortlaufend zu betätigen und zugleich sämtliche Arbeitsgänge an einem Ort zu vereinigen. Den Ankauf der Dampfmaschine ermöglichte Alfred Krupps Vetter Carl Friedrich von Müller, der sich zugleich mit einem Drittel an der Gussstahlfabrik beteiligte. Seit 1831 wurde Alfred in der Leitung der Fabrik durch seinen jüngeren Bruder Hermann Krupp unterstützt, im maschinentechnischen Bereich seit 1834 zusätzlich durch einen Ingenieur. Arbeitsteilung führte allmählich zur Heranbildung von Spezialisten für die Arbeitsvorgänge, aber nun mussten die erweiterten Betriebseinrichtungen auch langfristig gleichmäßig genutzt werden. Dies erreichte Alfred Krupp zum einen durch Fortentwicklung und Ausweitung im Produktionsbereich, zum Beispiel besaßen die seit 1835 hergestellten Spezialwalzen für das Auswalzen hochfeiner, in der Brokat- und Tressenindustrie benötigter Gold- und Silberfäden einen bis dahin unbekannten Grad von Präzision und waren dabei zugleich von großer Haltbarkeit. Zum anderen begann Alfred Krupp mit der planmäßigen Erschließung von Auslandsmärkten. Die Reisen übernahmen er und sein Bruder Hermann sowie ein 1836 eingestellter »Reisender«. 1838/39 bereiste Alfred Krupp 15 Monate lang Frankreich und England, gewann neue Kunden und erweiterte in England vor allem seine Kenntnisse über Stahlherstellung und Arbeitsorganisation. Zu dieser Zeit wurde allerdings in der Gussstahlfabrik ein deutlicher Auftragsrückgang spürbar. Eine Ursache hierfür lag in der fortschreitenden Mechanisierung des Edelmetallgewerbes. Sie führte dazu, dass zahlreiche kleine Handwerksbetriebe, die bisher Hauptabnehmer der kruppschen Walzen und Walzmaschinen waren, allmählich dazu übergingen, ihre Halbfabrikate vorgefertigt und von großen Edelmetallwerken zu beziehen. Ein weiterer Grund lag darin, dass die praktisch unzerstörbaren Walzen Ersatzinvestitionen bei den Kunden unnötig machten. So schrieb 1843 Hermann Krupp aus Paris: »Es ist ein großes Übel, dass unsere Walzen so lange halten. In Paris beispielsweise ist noch kein einziges Paar verschlissen.« Es galt also wiederum, neue Anwendungsbereiche für den Gussstahl zu finden oder bei den bestehenden Produkten zu weiteren Verarbeitungsstufen vorzustoßen. Beide Wege hat Krupp beschritten. So begann er 1840 damit, komplette Walzwerke, Justierwerke und Vorstreckanlagen zu bauen. Außerdem entwickelte er gemeinsam mit seinen Brüdern — seit 1839 war auch der technisch begabte jüngste Bruder Friedrich mit in der Fabrik tätig — Anfang der 1840er-Jahre eine Besteckwalze für das gleichzeitige Walzen und Prägen von Löffeln und Gabeln. Die Anregung dazu hatten die Brüder von einem Münchener Graveur erhalten. Aber auch für diese Besteckwalzwerke gab es nur einen relativ begrenzten Kundenkreis, obwohl durch intensive Reisetätigkeit Kunden auch in Frankreich, Österreich und Russland gewonnen werden konnten. Zudem gelang der Versuch, ganze Besteckfabriken zu gründen, lediglich in Österreich, wo Krupp 1843 in Berndorf bei Wien gemeinsam mit Alexander Schoeller eine Metallwarenfabrik zur Herstellung von Essbestecken gründete, in der Hermann Krupp als Geschäftsführer tätig wurde. Ihre Ausstattung mit Besteckmaschinen und Prägewalzen brachte der Essener Gussstahlfabrik lohnende Aufträge. Einen umfangreichen, aber eben wieder nur einmaligen Auftrag ergab der Verkauf des Besteckwalzenpatents nach England im Jahr 1851 und die damit verbundene Einrichtung einer großen Fabrik in Birmingham mit den von Krupp gefertigten Besteckmaschinen.
 
Es fehlten jedoch Produkte, für die ein sehr großer, lang anhaltender Bedarf bestand, stark beanspruchte Stücke, bei denen die Verwendung des zwar hochwertigen und strapazierfähigen, aber auch teuren Gussstahls sich lohnte. In den 1840er-Jahren experimentierten Alfred und vor allem auch Friedrich Krupp mit solchen Produkten, etwa der Fertigung von Klavierdraht, Werkzeugen, Maschinenteilen, Brustpanzern, hohl geschmiedeten Gewehrläufen und einem Probegeschützrohr. Es blieb jedoch bei Versuchen und kleineren Lieferungen. Die zu diesen Aktivitäten notwendige finanzielle Bewegungsfreiheit gaben 1844 die Kapitaleinlagen des neuen Teilhabers Fritz Sölling; der bisherige Teilhaber von Müller war 1844 ausgeschieden. Insgesamt folgte nun ein kurzer geschäftlicher Aufschwung, dem die 1846/47 einsetzende allgemeine Wirtschaftskrise aber ein Ende setzte. Der dadurch bedingte Auftragsrückgang, Anfangsverluste der Berndorfer Fabrik und betriebliche Schwierigkeiten infolge der häufigen Reiseabwesenheit von Alfred Krupp führten zu Verlusten des Essener Unternehmens, zu deren Deckung keine Rücklagen zur Verfügung standen. Im Februar 1848 übertrug Theresia Krupp ihrem ältesten Sohn Alfred das Unternehmen, um eine einheitliche Leitung zu gewährleisten. Die wirtschaftliche Situation verschärfte sich jedoch noch. Im April 1848 konnte das Unternehmen nur durch den Rückgriff auf das Privatvermögen und durch einen großen Besteckmaschinenauftrag aus Russland vor dem Ruin gerettet werden.
 
 Der erste Expansionsschub: Produkte für die Eisenbahn
 
Alfred Krupp führte das immer noch recht kleine Unternehmen jetzt als Alleininhaber, da Hermann Krupp die 1849 von der Essener Fabrik gelöste Berndorfer Metallwarenfabrik übernommen hatte und Friedrich ebenfalls nicht mehr im Unternehmen tätig war. Es war ein günstiges Zusammentreffen, dass Krupp 1846/47 mit der Herstellung von Gussstahlfedern und Gussstahlachsen für Eisenbahnwagen begonnen hatte. Denn der mit dem Konjunkturaufschwung verstärkt einsetzende Eisenbahnbau bot nun tatsächlich den so lange gesuchten, expandierenden, nahezu unbegrenzten Absatzbereich — wenn es gelang, die Aufträge zu erhalten. Im Oktober 1849 erhielt Krupp von der Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft seinen ersten wirklich großen Auftrag über 2 400 Flachfedern und 600 Stoßfedern aus Gussstahl. Er führte dazu, dass eine Federwerkstatt und dann 1852 ein Walzwerk für Feder- und Puddelstahl gebaut wurde. Allmählich fanden auch die Gussstahlachsen von Krupp allgemeine Anerkennung. Wieder war es die Köln-Mindener Bahn, die 1850 einen größeren Auftrag über mehrere 100 Wagenachsen erteilte und die dann bis 1857 mehr als 2 800 Wagen-, Tender- und Lokomotivachsen bestellte. Dieser und weitere Aufträge führten zu umfangreichen Um- und Neubauten in der Fabrik, vor allem zum Bau einer großen mechanischen Werkstatt mit Dampfbetrieb.
 
Gleichzeitig ermöglichte es die stetig fortentwickelte Fähigkeit, größere Güsse herzustellen, immer größere Produkte aus diesen Gussblöcken anzufertigen, z. B. große Kurbelwellen für Dampfschiffe, Kurbelachsen, schwere Walzen und auch Geschützrohre, die unter dem von Krupp konstruierten und im Unternehmen gebauten großen Dampfstielhammer ausgeschmiedet wurden. Seit 1853 eröffneten die von Alfred Krupp entwickelten nahtlosen Eisenbahnradreifen, die sich bei den wachsenden Fahrgeschwindigkeiten als bruchsicher erwiesen, weitere Anwendungsmöglichkeiten für den Gussstahl. Alfred Krupp hatte sie in jahrelangen Versuchen aus den kleinen, ebenfalls nahtlos gefertigten Walzenringen entwickelt und hielt sie für seine bedeutendste Erfindung. In Anlehnung an sie wurden 1875 die drei aufeinander gelegten Ringe zum Firmenzeichen bestimmt. Für den insgesamt stark erhöhten Bedarf erwies sich das bisher praktizierte Verfahren, Tiegelgussstahl aus selbst hergestelltem Zementstahl zu erschmelzen, als zu kostspielig. Deshalb begann Alfred Krupp 1853, Puddelstahl als Tiegeleinsatz zu verwenden. Er bezog ihn zunächst von verschiedenen kleinen Hüttenwerken, seit 1855 stellte er ihn in dem neu errichteten eigenen Puddelstahlwerk selbst her. Die Wirtschaftskrise von 1857 traf Krupp nicht so schwer wie seine Konkurrenten, da er die Beschäftigung durch Staatsbahnaufträge, Vorratsproduktion und eigene Bauvorhaben aufrechterhalten und die dazu notwendigen Finanzmittel durch die Aufnahme stiller Teilhaber sichern konnte.
 
 Der zweite Expansionsschub: Massenprodukte für die Eisenbahn, Geschütze
 
1859 gelang Alfred Krupp mit dem Auftrag der preußischen Militärbehörden über 300 vorgearbeitete Rohrblöcke für Geschützrohre der Durchbruch in einen neuen Anwendungsbereich für Qualitätsgussstahl, den er in den folgenden Jahrzehnten stark ausbaute. Diesem ersten Großauftrag waren langwierige Bemühungen Krupps und eine Reihe von meist kleineren, im Verhältnis zum Aufwand jedoch letztlich erfolglosen Aufträgen, vor allem von ausländischen Kunden, vorausgegangen. Erst die Entscheidung der preußischen Militärbehörden für die Einführung des Hinterladesystems und für Geschütze aus Gussstahl anstelle von Gusseisen oder Bronze im Jahr 1855 hatte die Wende gebracht. Am Zustandekommen des Auftrags hatte der damalige Prinzregent Wilhelm I. persönlich mitgewirkt. Krupp begann bald mit der Herstellung vollständiger Geschütze und baute neue Werkstätten, um die gewünschten Mengen liefern zu können. Ein weiterer Grund für die sprunghafte Expansion des Unternehmens in den 1860er-Jahren lag in der Aufnahme der Stahlproduktion nach dem Bessemerverfahren, mit dem es möglich wurde, Schienen und Stahlbleche in Massenproduktion herzustellen. Sie stellten in den folgenden Jahren einen umfangreichen Teil der Gesamtproduktion dar. Alfred Krupp hatte bereits 1855 Kontakte zu Henry Bessemer in England aufgenommen und erwarb als Erster das Patent für Deutschland. 1862 nahm das Krupp-Bessemer-Werk als erstes dauerbetriebenes Werk auf dem europäischen Festland die Produktion auf. Zusätzlich führte Krupp bereits 1869 das Siemens-Martin-Verfahren ein, bei dem unter Einsatz von Schrott und Roheisen ein Stahl hergestellt werden konnte, der dem Bessemerstahl qualitativ überlegen war und der den teuren Tiegelstahl bei manchen Produkten, z. B. Eisenbahnrädern, ersetzen konnte. Daneben behielt aber der Tiegelstahl für ganz besonders strapazierte Maschinenteile und Geschützrohre seine Bedeutung. Hier gelangen immer größere Güsse, z. B. 1865 ein Guss von 35 000 kg aus 1 184 Tiegeln, die zugleich nach außen die technischen Fähigkeiten des Unternehmens Krupp spektakulär manifestierten. Diese Gussstücke konnten mithilfe des 1861 erbauten, als technisches Wunderwerk bestaunten, von Alfred Krupp selbst entworfenen 50-t-Dampfhammers »Fritz« geschmiedet werden. 1860 ging Alfred Krupp zur Fertigung von Rädern und Radsätzen über und begann in den Folgejahren, in bewusster Konkurrenz zum Bochumer Verein für Gussstahlfabrikation, mit der Herstellung von Eisenbahnrädern im Stahlformguss. Bald gelang es auch, Herzstücke, Kreuzschienen und andere Maschinenteile in diesem preisgünstigeren Verfahren herzustellen. Außerdem erhöhte die Zunahme der überseeischen Schifffahrt die Nachfrage nach schweren geschmiedeten Schiffspropellerachsen.
 
Um bei dem gewachsenen Rohstoffbedarf von fremden Lieferanten unabhängig zu sein, erwarb Alfred Krupp 1864 Eisenerzgruben im Lahngebiet, 1865 vom preußischen Fiskus die Sayner Hütte bei Koblenz und in den folgenden Jahren noch weitere Hüttenwerke am Rhein und zahlreiche Erzgruben an der Lahn und im Westerwald. Den Kohlebedarf deckte er durch die Anpachtung der Essener Zeche Graf Beust 1864 und den Kauf der Zeche Hannover bei Bochum 1872. Mit der gleichzeitigen Beteiligung an einer spanischen Erzgrube gewann er den Zugang zu phosphorarmen und damit für das Bessemerverfahren geeigneten Erzen. Für deren Transport gründete er eine eigene Reederei in Rotterdam. Mit allen diesen Erwerbungen hatte der Ausbau des Unternehmens zum vertikalen Konzern begonnen.
 
 Die Krise und ihre Überwindung
 
Die großen Expansionen der 1860er- und sehr stark auch der beginnenden 1870er-Jahre, die neben umfangreichen Investitionen im Rohstoff- und Produktionsbereich auch den Bau einiger größerer Arbeitersiedlungen und der Villa Hügel als Wohnsitz der Unternehmerfamilie umfassten, hatte Krupp durch kurzfristige Bankkredite finanziert, für die jedoch keine ausreichende Sicherung existierte. 1873/74 führten akute Zahlungsprobleme im Zusammenhang mit der allgemeinen Gründerkrise fast zum finanziellen Zusammenbruch des Unternehmens. Krupps Bemühungen um eine Staatsanleihe blieben erfolglos, jedoch kam schließlich eine von einem Bankenkonsortium unter Führung der Preußischen Seehandlung getragene Anleihe in Höhe von 30 Millionen Mark zustande, mit der Krupp seine schwebenden Verpflichtungen erfüllen konnte.
 
Alfred Krupp selbst empfand die daran geknüpften Bedingungen als schmachvoll, obwohl die vom Konsortium zunächst vorgesehene Verpfändung der gesamten Werke schließlich auf wenige Objekte reduziert und zu dem vom Konsortium geforderten Vertrauensmann der Banken in der Unternehmensleitung der langjährige Krupp-Vertreter in Berlin, Carl Meyer, bestimmt wurde. Meyer gelang es in den folgenden Jahren, die Finanzen des Unternehmens zu ordnen und dabei vor allem Kostensenkungen zu erreichen. Wichtiges Instrument dafür wurde das 1875 als interne Prüfungsinstanz eingerichtete Rechnungsrevisionsbüro.
 
Seit 1875 war der einzige Sohn Friedrich Alfred Krupp mit im Unternehmen tätig. Dank seines taktischen und Verhandlungsgeschicks wirkte er in zunehmendem Maße als Vermittler zwischen dem eigenwilligen, zwar zurückgezogen lebenden, aber doch oft ins Tagesgeschäft eingreifenden Vater und der Firmenleitung. Diese wurde seit 1879 durch mehrere fähige Staatsbeamte erweitert.
 
Über Jahre flossen nach der Krise die erwirtschafteten Gewinne in die Amortisation der Anleihe. Das Unternehmen erholte sich nur langsam. Erst 1886 konnte mit der Übernahme des Stahlwerks Annen bei Witten die Expansion fortgesetzt und zugleich der Schritt zum horizontal gegliederten Konzern vollzogen werden. Wichtigster Tätigkeitsbereich dieses Werkes war der Stahlformguss, ein Feld, das ja auch bei Krupp intensiv betrieben und nun durch diesen Erwerb erheblich verstärkt wurde. Ebenfalls weiter ausgebaut wurde der Artilleriebereich, hatten doch die Krupp-Geschütze seit dem Deutsch-Französischen Krieg im In- und Ausland allgemeine Anerkennung gefunden. Firmeneigene Schießplätze in Dülmen, Meppen und Essen ermöglichten inzwischen ihre von Militärbehörden unabhängige Erprobung.
 
 Der Privatmann
 
Durch den Tod seines Vaters wurde Krupp schon als Jugendlicher in den Fabrikbetrieb und in die Verantwortung gezwungen. Er heiratete 1853, einundvierzigjährig, die neunzehn Jahre jüngere Bertha Eichhoff aus Köln, 1854 wurde der einzige Sohn Friedrich Alfred geboren. Die Verlobung hatte man mit der ganzen Belegschaft in der Fabrik gefeiert, und Bertha Krupp wurde in den Folgejahren zum bewunderten Mittelpunkt des Hauses für die offiziellen Gäste. Aber das Ehepaar schätzte auch die kleine Geselligkeit im Kreise vertrauter Freunde und Verwandter. Man spielte Billard und Domino, hörte Musik und organisierte zuweilen mithilfe von Schauspielern des Düsseldorfer Theaters, das Krupp gern besuchte, kleine Theateraufführungen. Alfred Krupp besaß Humor, der sich u. a. in eigenhändigen Karikaturen und Gelegenheitsgedichten zu verschiedensten Anlässen äußerte. Im Alter aber, häufig krank und verbittert durch die erlebte »Schmach« in der Krise 1873/74, wurde er zunehmend grüblerisch, gereizt und übertrieben misstrauisch. Der Umgang mit ihm wurde schließlich so schwierig, dass seine Frau ihn 1882 verließ, um fortan in Leipzig zu leben. Erst jetzt erlaubte Alfred Krupp seinem Sohn die Eheschließung mit Margarethe von Ende, die er jahrelang als Adelige abgelehnt hatte.
 
 Der Unternehmer
 
Alfred Krupp hat ein in hohem Maße wettbewerbsfähiges Unternehmen geschaffen. Dieser Erfolg wurde zum einen durch die für die industrielle Entwicklung günstigen allgemeinen Bedingungen im 19. Jahrhundert und durch immense persönliche Arbeitsleistung ermöglicht, zum anderen durch die unternehmerische Leistung Alfred Krupps, die die Marktsituation zu nutzen verstand und die Einflussfaktoren der Wettbewerbsfähigkeit in den Bereichen Beschaffung, Produktion, Absatz und Organisation erfolgreich zu gestalten vermochte.
 
Im Produktionsbereich hat Alfred Krupp entscheidendes Gewicht auf Produkt- und Verfahrensinnovationen gelegt. Insbesondere bei der Stahlerzeugung hat er überwiegend die neuesten Entwicklungen aufgegriffen. Er fand differenzierte Anwendungsmöglichkeiten für die unterschiedlichen Stahlqualitäten, und es gelang ihm, immer neue Erzeugnisse in sein Fertigungsprogramm aufzunehmen und dabei oft bis in die meist ertragreichere Endfertigung vorzustoßen. Die Beziehung zwischen wirtschaftlicher Großfertigung und einem — auch aufgrund der starken Konkurrenz notwendigen — weiträumigen Absatzgebiet hat Krupp früh erkannt.
 
Die Erfolge im Absatzbereich sind auf verschiedene Faktoren zurückzuführen: die bereits früh garantierte hohe Produktqualität, Reisen und die Einrichtung von Auslandsvertretungen sowie die Teilnahme an Industrieausstellungen im In- und Ausland. Speziell hier wusste Alfred Krupp sein Unternehmen mit spektakulären Ausstellungsstücken, z. B. den immer gigantischer werdenden Gussstahlblöcken und den allseits Bewunderung erweckenden Gussstahlgeschützen wirksam zu präsentieren. Ganz bewusst setzte Alfred Krupp seit den 1860er-Jahren zugleich die Fotografie als Instrument für die werbewirksame und damit absatzfördernde Darstellung des Unternehmens und seiner Produkte in der Öffentlichkeit ein. Zu erwähnen ist weiterhin die repräsentative Gastlichkeit, zu der seit 1873 die Villa Hügel den imponierenden Rahmen gab. Nicht nur die Kunden der Firma im engeren Sinn kamen hierher, sondern auch die Großen der Welt, Kaiser und Könige, für die der Besuch bei Krupp manchmal schon fast zum Pflichtprogramm ihres Deutschlandaufenthaltes gehörte.
 
Ebenso erfolgreich hat Alfred Krupp die Produktionsfaktoren Rohstoffe und Energie durch den Erwerb von Kohlezechen, Erzgruben und Hüttenwerken gestaltet. Desgleichen gelang ihm die Sicherung der Arbeitskräfte. Um die von ihm garantierte hohe Produktqualität liefern zu können, bemühte er sich schon früh um die Schaffung und Erhaltung einer festen und qualifizierten Stammarbeiterschaft, die er mit überdurchschnittlichen Löhnen, systematischem Anlernen und Weiterqualifizieren im Betrieb, Beschäftigung auch in Krisenzeiten sowie Einrichtungen zur sozialen Absicherung - bei gleichzeitigem Verbot gewerkschaftlicher und sozialdemokratischer Tätigkeit - an das Unternehmen zu binden suchte. Alfred Krupps Sozialwerk ist, hauptsächlich wegen seiner Motive, oft kritisiert worden. Sicherlich hat er die Einrichtungen nicht nur aus Menschenfreundlichkeit geschaffen, sondern vor allem, um den Unternehmenserfolg zu sichern. Auch hat er den politischen Bewegungsspielraum der Arbeiter eingegrenzt, aber andererseits lebten die bei Krupp beschäftigten Arbeiter in einer materiellen Sicherheit, die erheblich über dem Durchschnitt lag. Schließlich ist es Alfred Krupp gelungen, die mit der gewaltigen Expansion des Unternehmens verbundenen organisatorischen Probleme zu lösen. Er besaß ein ausgeprägtes Gespür dafür, dass ein so großes Unternehmen klarer organisatorischer Regelungen bedurfte. So entstanden allmählich voneinander abgegrenzte Betriebsbereiche mit den notwendigen Arbeitsordnungen und Instruktionen. 1862 setzte Alfred Krupp eine zweiköpfige Kollektivprokura als von seiner Person losgelöste Unternehmensleitung ein. 1872 erließ er das von ihm entworfene und dann von der Geschäftsleitung überarbeitete »Generalregulativ«, das die innerbetriebliche Hierarchie vom Aufseher und Meister bis zur Unternehmensleitung mit den jeweiligen Aufgaben und Funktionen festlegte und das zugleich Bestimmungen über die Sozialeinrichtungen enthielt. Schwächstes Glied innerhalb der unternehmerischen Leistung von Alfred Krupp war sicherlich die Beschaffung von Kapital. Zwar entwickelte sich im 19. Jahrhundert erst allmählich ein Kapitalmarkt, der den Bedürfnissen einer stark expandierenden Wirtschaft auch in Krisenzeiten gewachsen war. Aber Alfred Krupp besaß auch den Hang zu sehr risikoreichen Finanzierungen ohne Rücksicht darauf, ob Teilhaber und Banken diese Politik in Krisenzeiten stützen würden. Dadurch kam es zu Engpässen, die den Bestand des Unternehmens ernsthaft gefährdeten. Schon zu Lebzeiten wurde Alfred Krupp der »Kanonenkönig« genannt, eine Bezeichnung, die dem Staunen, das die Riesengeschütze beim Publikum auslösten, z. B. auf den Weltausstellungen, entsprach. Die Geschützproduktion wurde über Jahrzehnte hin aus zeitgebundener Wertung heraus in den Eigendarstellungen des Unternehmens, in seiner Werksfotografie, aber auch in den meisten der zahlreichen Darstellungen Dritter stärker betont, als dies ihrem realen Anteil an der Produktion des Unternehmens entsprach. Dies setzt sich, je nach Sichtweise des jeweiligen Autors, bis in neuere Darstellungen teilweise sehr kontrovers fort.
 
 
Alfred Krupp hat das Unternehmen als eigenständigen Organismus und zugleich als Bestandteil des Staates gesehen, getragen durch gegenseitige Treue. Das bedeutete für ihn die Selbstverpflichtung des Inhabers zur umfassenden Fürsorge für die Mitarbeiter auf der einen und die bedingungslose, auch politische Unterordnung der Arbeiter auf der anderen Seite. Tatsächlich entstand in seiner Ära bei Krupp eine relativ homogene, hoch qualifizierte Stammarbeiterschaft von geringer Fluktuation, die in den bestehenden Staat integriert war. Maßgeblich entscheidend für die Entstehung dieser Gemeinschaft der »Kruppianer« waren allerdings auch die Besonderheiten der Arbeitsprozesse: Ein fortlaufender Guss aus mehr als 1 000 Tiegeln z. B. konnte eben nur in einem bis ins Letzte organisierten Arbeitsvorgang mit optimal geschulten Mitarbeitern gelingen.
 
Alfred Krupp legte in seinem Testament den ungeteilten Übergang des Unternehmens auf jeweils einen Erben über drei Generationen (Fideikommiss) fest mit der Verpflichtung, die Erträge nicht zur persönlichen Bereicherung, sondern »zur Erweiterung des Werkes und zum Wohle des Ganzen« zu nutzen. Damit wirkte er bestimmend auch auf die Zukunft des Unternehmens ein.
 
 
Johann Paul: Alfred Krupp und die Arbeiterbewegung. Düsseldorf 1987.
 Lothar Gall: »Reichsgründer«. Otto von Bismarck und Alfred Krupp, in: Struktur u. Dimension. Festschrift für Karl Heinrich Kaufhold zum 65. Geburtstag, herausgegeben von Hans-Jürgen Gerhard. Band 2, S. 447-455. Stuttgart 1997.
 Ernst Schröder: Unternehmerfamilie Krupp. Sonderausgabe Braunschweig 1998.
 Frank Stenglein: Krupp. Höhen und Tiefen eines Unternehmens. München 1998.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Luftangriffe auf das Ruhrgebiet — Die Luftangriffe auf das Ruhrgebiet der britischen und US amerikanischen alliierten Mächte im Zweiten Weltkrieg hatten das Ziel, durch verschiedene militärische Luftoffensiven mit unterschiedlichen Strategien die Produktion und den Transport… …   Deutsch Wikipedia

  • Bochumer Verein — Die Glocke des Bochumer Vereins vor dem Bochumer Rathaus Der Bochumer Verein war ein vertikal integrierter Montankonzern mit Sitz in Bochum, zu dem mehrere Stahlwerke und Zechen gehörten und der zeitweise über 20.000 Menschen beschäftigte. Er… …   Deutsch Wikipedia

  • Battle of the Ruhr — Luftangriffe auf das Ruhrgebiet Teil von: Zweiter Weltkrieg, Westfront Zwei „Fliegende Festungen“ (B 17) der …   Deutsch Wikipedia

  • Die Schlacht um die Ruhr — Luftangriffe auf das Ruhrgebiet Teil von: Zweiter Weltkrieg, Westfront Zwei „Fliegende Festungen“ (B 17) der …   Deutsch Wikipedia

  • Karl Wilhelm Hermann Pemsel — etwa 1869 Karl Wilhelm Hermann Pemsel (* 7. Dezember 1841 in Naila; † 20. November 1916) war ein deutscher Jurist und Unternehmer. Er war Mitgründer und Aufsichtsrat der Münchener Rückversicherungs Gesellschaft, Allianz Versicherungs AG …   Deutsch Wikipedia

  • Aufrüstung der Wehrmacht — Wehrmachtsführung beim Reichsparteitag der NSDAP 1938, von links: Erhard Milch, Wilhelm Keitel, Walther von Brauchitsch, Erich Raeder und Maximilian von Weichs. Die Aufrüstung der Wehrmacht bezeichnet …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”